Mitgliederversammlung des Thüringer Handwerkstages e. V.
am 22. November 2001, Dorint Hotel Gera
Ansprache des Präsidenten
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Seit Gründung des Thüringer Handwerkstages e. V. vor fast zehn Jahren hat das Handwerk in Thüringen eine Stimme. Den Kritikern kann ich gleich sagen: sicher ist die eine Stimme auch öfter mal ein gemischter Chor, das ist eben die Vielfalt des Handwerks. Wenn aber dieser Chor gemeinsam den Kammerton „a“ singt, ich glaube schon – dann ist das wieder diese eine Stimme. Und ich möchte heute und hier diese Stimme des Handwerks Ihnen vortragen. Denn eines ist wohl schon in den Jahren unseres Bestehens deutlich geworden: das Wort „Thüringer Handwerkstag e. V.“ ist kein Name, der Thüringer Handwerkstag e. V. – das ist ein Programm. Zu jedem Parlamentarischen Abend, zu jeder Mitgliederversammlung haben wir im Handwerk gesagt, was wir denken, was wir tun, was wir vom Leben erwarten, aber auch – was man von uns erwarten kann!
Und deshalb finden wir es im Handwerk gut, dass wir dies alles mit Ihnen, sehr geehrte Gäste, aber besonders mit Ihnen, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, besprechen können. Miteinander reden, vielleicht sogar mal streiten, ist das richtige Rezept, um Lösungen zu erreichen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind Handwerker, wir sind überall im Land zu Hause, jeder hat seinen kleinen Einzugsbereich. Da steht doch die Frage: müssen wir das Wort Globalisierung eigentlich buchstabieren können? Geht die große Politik nicht an uns vorbei? Die Antwort ist klar, ein Wort: nein! Und ich beginne mit einem Datum: 11. September 2001. Uns im Handwerk fehlen – wie überall in der Welt bei redlichen Leuten, uns fehlen immer noch die Worte, um das Geschehene zu beschreiben.
„Nichts wird mehr so sein, wie es mal war.“ – wir alle kennen diesen meist gebrauchten Satz nach der Katastrophenmeldung. Er wird auch vom Handwerk geteilt. Und besonders geteilt wird der Ruf zum Zusammenrücken aller Kräfte, die noch Wertevorstellungen im Leben, vom Leben haben. Wir im Handwerk gehören dazu, wenn es darum geht, neue Ideen, neue Wege, neue Gedanken zum friedlichen Miteinander auf dieser Welt zu gehen. Sicher ist der folgende Vergleich weit hergeholt, aber wir im Handwerk kennen täglich Konkurrenzsituationen am Markt mit Gegenspielern und das vereinte Leben in unseren Innungen.
Dieses – zwar winzige Leitbild – wollen wir im Handwerk nach draußen tragen, das kann und sollte auch das Bild des Zusammenlebens auf dieser Erde sein. Und da ist kein Platz für Terror und Menschenverachtung. Wir sind im Handwerk zu klein, um gute Ratschläge zu geben. Aber unsere Sympathie liegt bei allen Maßnahmen, die den Spagat schaffen, den Terror auszurotten und die Menschheit vor Angriffen jeder Art zu schützen. Das möchte ich im Auftrag des Thüringer Handwerks Ihnen, sehr geehrter Herr Ministerpräsident so deutlich sagen, damit Sie als Politiker diese Meinung mitnehmen zu den Orten, in die Gremien, wo derartige Entscheidungen getroffen werden.
Uns bewegen im Handwerk viele Gedanken, aber diese Gedanken von den Grundwerten des menschlichen Lebens, die wollte und musste ich voranstellen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wo stehen wir, wie geht es weiter. Eine Binsenweisheit gilt: neue Anforderungen erwarten neue Antworten. Welches sind die Anforderungen? Welche neuen Antworten gibt es? Zwei Begriffe sind in diesem Zusammenhang zu nennen: Freiheit und Sicherheit. Diese Worte sind die zwei Seiten einer Medaille. Ich möchte hier eine philosophische Weisheit, die Altkanzler Helmut Schmidt oft gebraucht hat, nennen: „Wir verlangen, dass der Staat die Freiheit im gewissen Maße einschränkt, damit jeder seine Freiheit erhält.“ Und wenn wir dies uns auf der Zunge zergehen lassen, dann ist das sicher die Richtung, in die wir denken müssen. Wir müssen von unserer Bundesregierung eines fordern: Investitionen in die Sicherheit sind Investitionen in die Freiheit. Und es muss wohl möglich sein, einen Teil unseres Wohlstandes für die äußere und innere Sicherheit einzusetzen.
Wer sich der Politik verschrieben hat, wer glaubt, hier Staubwischen zu müssen, der muss diese Probleme auch angehen und beherrschen. Das fordern wir – und ich sage es auch: das fordern wir mit Recht! Vielleicht hat jetzt der eine oder andere die Frage: was plustert sich denn das Handwerk hier auf. Und ich antworte ganz deutlich: Wir fühlen uns als Handwerker hier nicht unterbelichtet, wir sehen schon unsere kleinen Kreise, wir wissen aber auch, dass wir in den großen Kreisen eingebettet sind. Deshalb empfinden wir – als Wirtschaftsgruppe, es als unsere Pflicht, unser Gedankengut hier mit einzubringen. Es geht uns ja auch direkt mit an. Sehen Sie doch nur das Stichwort Europa. Die EU-Osterweiterung steht vor der Tür. Sie ist für uns Chance und Risiko zugleich. Und es ist nicht leicht, diese beiden Seiten sorgfältig zu unterscheiden.
Schnell kann eine Einschätzung sich in das Gegenteil umwandeln. Wir im Handwerk sind für den Gedanken des vereinten Europas. Diesen Standpunkt haben wir stets deutlich gemacht. Er rührt ja auch aus unseren Wurzeln des Selbstverständnisses her. Aus der Walz, aus der offenen Betrachtung der Welt. Aber – wir müssen die Großwetterlage der heutigen Zeit sehen. Chancen und Risiken sind nicht gleich verteilt. Trotzdem voranstellen möchten wir ganz klar, dass die EU-Osterweiterung ein überaus wichtiger Schritt für die Dauer-haftigkeit der politischen Stabilität in Europa ist. Und das dürfte, nein – das muss für uns es wert sein, hier einen Einsatz zu zeigen. Gewiss, es wird noch Jahrzehnte enorme wirtschaftliche und soziale Entwicklungsunterschiede geben. Die Umwälzungen gibt es nicht nur bei den Beitrittsländern. Sie wird es auch bei uns geben! Und die Risiken treffen uns kleine Betriebe – aufgrund der Kostenstrukturen – am härtesten.
Das macht uns schon große Sorgen. Deshalb fordern wir sehr deutlich: es darf nur eine geregelte Integration geben. Das Wort „der Markt wird es schon regeln“, dieses Wort gilt hier nicht. Das ist unsere Auffassung im Handwerk und ich bitte unsere Politiker, diese Aussage sehr ernst zu nehmen. Es darf nicht dazu kommen, dass wir hier in Thüringen zu den Zahlern gehören und uns dann noch im Status eines Transitlandes befinden. Nichts wäre schlimmer, als wenn wir in Thüringen das Loch in der Schallplatte sind und die Musik spielt drumherum.
Deswegen sind hier unsere Forderungen:
1. Aufstellung hinreichend langer Übergangsfristen und
2. Schaffung von Öffnungsklauseln entsprechend der jeweiligen nationalen Arbeitsmarktlagen.
Ich weiß, dass mich jetzt nicht nur einige Politiker anschauen, sondern auch meine eigenen Handwerkskollegen. Aber es ist die Zeit reif: wir im Handwerk müssen Unternehmenskontakte zu unseren Handwerkskollegen in den Beitrittsländern herstellen, wir müssen uns um geförderte unternehmerische Investitionen im Beitrittsgebiet kümmern und wir müssen Partnerschaften zwischen den Wirtschaftsorganisationen bilden. Nichts kommt von allein – bewegen müssen wir uns schon. Dass aber gerade wir im Handwerk hierbei die Unterstützung unseres Landes brauchen, möchte ich hier ausdrücklich betonen und nicht als Nachsatz verstanden wissen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Sie sind von den Ausführungen des Präsidenten des Thüringer Handwerkstages e. V. in der Vergangenheit verwöhnt worden, einen ganzen Strauß von Forderungen, Wünschen und Vorschlägen hören zu können. Ich möchte Sie da heute nicht enttäuschen, hielt es aber trotzdem für wichtig, diese globale Umfeldausleuchtung voranzustellen. Damit bin ich dann automatisch in die Bewertung der Bundespolitik gekommen. Damit ich nicht falsch verstanden werde: wir im Handwerk sind nicht die Bewerter, das soll jeder für sich als Wähler entscheiden. Wir stellen aber das Rückkopplungsorgan dar, denn wir merken am deutlichsten, was so in hoher Position gemacht – oder eben auch nicht gemacht wird. Jeder, der a
lt genug ist, kennt noch den Radiotyp mit der Rückkopplung. Wenn man sie aufdrehte, kam das große Pfeifen. Und wir im Handwerk, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir pfeifen schon lange! Und das nicht aus Wollust sondern aus wirtschaftlichem Schmerz.
„Wir sind für die neue Mitte“ – sind die Worte noch bekannt? Viele glaubten auch, neue Mitte zu sein. Das war offenbar eine Fehlinterpretation. Wer bei der alten Mitte war, wer also bei seinen Leisten blieb, der war sowieso nicht gemeint, jedenfalls kommt uns das im Handwerk so vor. Heute ist das Zauberwort der „neuen Mitte“ nicht mehr aktuell, zur Zeit läuft ja noch kein echter Wahlkampf. Heute heißt das Zauberwort: Politik der ruhigen Hand. Vor einigen Jahren hat man das mit dem Wort „aussitzen“ übersetzt. In der Wirkung für den Mittelstand ist beides nicht nur ernüchternd, es ist destruktiv. Wer mit offenen Augen durch unsere Bundesrepublik geht, der erkennt sofort: Mittelstandspolitik ist in Berlin vom Inhalt nicht bekannt. Da gibt es den Schmusekurs zur Großindustrie und zu den Gewerkschaften. Der Mittelstand ist doch nur bekannt, wenn es darum geht, ihm in die Taschen zu greifen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Schwarz-Weiß-Malerei ist im Handwerk nicht zu Hause. Wir sind viel zu farbig, als dass wir das überhaupt könnten. Aber – womit wir im Handwerk konfrontiert werden, dass sind wohl nur Extreme. Bevor ich hier unsere ureigensten Dinge nenne, noch ein paar Worte zur Großwetterlage. Deutschland hat es erneut geschafft, in der Liste der wettbewerbsfähigsten Länder der Welt einen weiteren Platz nach unten zu rutschen. Nun sind wir auf Platz 12 gerutscht, vor uns ist Australien, hinter uns Island. Das wundert doch gar nicht. Nach einer IMD-Veröffentlichung ergibt sich, dass unsere Bundesrepublik über die ausgefeiltesten Bremssysteme für eine Wirtschaftsentwicklung verfügt. Man hat 49 Länder untersucht. Und wo steht Deutschland unter diesen 49 Ländern?
z. B. Steuerbelastung von Unternehmen: Rang 49
oder hohe Unterstützung für Arbeitslose: Rang 47
oder Verfügbarkeit von IT-Spezialisten: Rang 46
oder Arbeitsmarktgesetzgebung: Rang 40
So sehen uns die Weltspezialisten. Wir im Handwerk sind keine Weltspezialisten. Trotzdem gab es stets einen Aufschrei von uns, wenn unsere Bundesregierung das nächste Überraschungsei auspackte. Lassen Sie mich einfach mal ein paar Dinge aufzählen, die direkt lähmend für die Mittelstandsentwicklung sind:
– 100 % Lohnfortzahlung im Krankheitsfall,
– Kündigungsschutzgesetzgebung,
– Scheinselbstständigkeit,
– Teilzeitanspruch.
Dazu kommt gleich noch die Ökosteuer, die sogenannte Unternehmenssteuerreform, die Rentenreform – alles lahme Krieger. Und als Krönung die Änderung im Betriebsverfassungsgesetz. Und wenn es wirklich mal um ein Gesetz für uns geht, für uns im Mittelstand, im Handwerk, wie das berühmt-berüchtigte „Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen“, dann werden diesem Tiger die Zähne einzeln herausgezogen! Wer jetzt sagt, ich übertreibe, dem muss ich sagen, er sei wirtschaftsfremd. Die Experten, die an grünen Tischen in mühevoller Kleinarbeit diese gesetzlichen Bremsklötze konstruieren, brauchten nur mal eine Woche in unsere Betriebe zu kommen. Ich lade herzlich dazu ein. Es ist unwahrscheinlich, wie man Unternehmergeist knebeln und Gründertum unterbinden kann. Das ganze hat doch seinen Ausdruck in der hohen effektiven Abgabenbelastung. Und ich sage es klar – diese Abgabenlast in Deutschland hält die Menschen von der Abeitsaufnahme ab. Schauen wir doch auf die deutschen Arbeitsmarktregeln: zu starr, zu bürokratisch, zu kostspielig. So sieht uns die Welt – nur unsere Berliner Politiker sehen das nicht. Eigentlich ein Kuriosum.
Und wenn wir jetzt noch die Ergebnisse der Wirtschaftsweisen sehen – man könnte glatt auswandern. Die Großen machen es ja auch so, wir Kleinen aber nicht. Wir können es nicht und wir wollen es nicht. Handwerk ist bodenständig, Handwerk hat seinen Markt in der Heimat, Heimatgefühl hat im Handwerk einen Stellenwert.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Eigentlich kann es doch mit der Politik, mit dem Mittelstand, mit dem Handwerk so nicht weitergehen. Wir haben unsere Forderungen zur Umsteuerung in der Wirtschaftspolitik heute hier auf einem Blatt zusammen gefasst. Sie haben dieses Papier in Ihren Tagungsunterlagen. Das ist unsere Meinung zu der Wirtschafts-politik, die uns lähmt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wir haben heute auch alle Bundestagsabgeordneten eingeladen. Wir sind auch froh, dass unsere Einladung teilweise aufgenommen wurde. Terminlich liegen wir zwar so, dass jeder mal in die Heimat kommen könnte, aber es ist wie immer: die Treuesten sind da. Sehr geehrte Bundestagsabgeordnete, bitte nehmen Sie dieses Papier mit. Betrachten Sie es als das, was es ist: es sind die Hausaufgaben, es ist der Wählerauftrag. Wir werden allen Thüringer Bundestagsabgeordneten diese Arbeitsaufgaben nachsenden. Und wenn die Antwort kommt wie „geht nicht“, „viel zu teuer“, „hat alles keinen Zweck“, denen können wir vom Handwerk ironisch sagen: wir haben auch noch einen Koffer in Berlin, voller Argumente! Aber die brauchen wir nicht, wir wollen Taten sehen. Es kann sich ja jeder Abgeordnete mit einer leichten Frage mal überprüfen. Bitte fragen Sie sich selbst: Wann war ich in der Handwerkskammer oder in der Kreishandwerkerschaft oder bei der Innung meines Wahlkreises in den letzten Jahren? Wann war ich da und habe mir das Wort aus der Heimat geholt? Wann – wie oft? Und damit nicht einer hier im Saal auf den Gedanken kommt, ich sei einseitig ausgerichtet, so frage ich doch auch glatt unsere Landesin-nungsmeister, unsere Obermeister, unsere Kammervorstände: wann haben Sie unsere Bundestagsabgeordneten zu sich eingeladen? Wie oft haben Sie das heimatliche Schulungsseminar über den Istzustand den Bundestagsabgeordneten verabfolgt? Ich möchte hier keine Watschenspiele betreiben, aber wir müssen uns schon ehrlich in die Augen sehen, uns offen begegnen und uns diese Fragen stellen. Vorhin, im Geschäftsbericht des Thüringer Handwerkstages e. V. hat uns unser Geschäftsführer die Zahlen gesagt, welche Reaktionen wir auf unsere bisherigen Briefe nach Berlin erhalten haben. Ich möchte hier den Betroffenen die Schmach ersparen. Also – seien wir ehrlich zueinander und gehen das Problem an. Wir brauchen Lösungen zu den Fragen der Zeit. Da sind die jetzigen politischen und wirtschaftlichen Antworten doch geradezu der Irrweg, wenn man bedenkt „wir tanken für die Rente“ oder „wir rauchen für die Sicherheit“. Das haben wir uns unter Politik für eine neue Mitte nicht vorgestellt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, Sie haben die Meinung des Thüringer Handwerks zu den brennenden Politikfragen gehört. Und ich muss es immer wieder sagen: wir Handwerker klagen nicht, wir klagen an! Und das aus der gesellschaftlichen Verantwortung für das Gemeinwohl. Natürlich geht es dann bei Erfüllung unserer Forderungen auch unseren Betrieben gut – das ist doch Ziel der Übung! Und wenn es unseren Betrieben gut geht, geht es auch uns gut, und es geht auch unseren Gesellen und Lehrlingen gut. Was uns bei politischen Entscheidungen zu Sachfragen so fuchsig macht, ist doch allein die Tatsache, dass die Differenz zwischen Sachentscheidung und Machtgier nur wenige Millimeter beträgt. Wie schnell Sachentscheidungen zu Machtentscheidungen werden, haben wir ja jetzt erst exzellent vorgeführt bekommen. Da wir das in unserem Selbstverständnis in unseren Betrieben nicht haben, deshalb reagieren wir so harsch an dieser Stelle.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wenn wir im Handwerk uns in unserem Land Thüringen richtig wiederfinden wollen, dann musste ich die Großwetterlage der Bundespolitik aufgreifen. Hier werden die großen Rahmenbedingungen geschaffen. Und wie schnell das durchschlägt auf uns haben wir ja bei der ICE-Trasse Nürnberg-Erfurt-Berlin gesehen. Wie schnell aus Ansätzen für blühende Landschaften Investruinen entstehen können, die wohl jetzt wieder aktiviert werden, das war do
ch ein Paradebeispiel dafür. Dass dabei auf Ebene der Länder durch Streitereien Steilvorlagen nach Berlin gegeben wurden, war so überflüssig wie ein Kropf. Aber Sie sehen, wir können nicht die Situation in unseren Gärtchen liebevoll betrachten, wenn wir nicht das Wetter am Horizont beachten. Aber mit dieser Betrachtung bin ich bei der Landespolitik angekommen, sehr geehrter Herr Ministerpräsident. Auch hier haben wir im Handwerk eine Rückkopplung für Sie. Unser erster Präsident hat in einer Rede mal gesagt: nutzen Sie, Herr Ministerpräsident, das Handwerk als Seismograph. Und wir wissen, dass Sie das so tun. Ich darf das noch mal deutlich sagen, insbesondere in Richtung meiner Handwerkskollegen: wir in Thüringen haben mit unserem Ministerpräsidenten einen großen Glücksfall für die Wirtschaft, weil Wissen um die Dinge und Kontakt zum Handwerk festgeschriebene Linien seiner Handlungsphilosophie sind. Das sage ich nicht, um zu gefallen, das sage ich einfach, weil es wahr ist. Und was wahr ist, muss wahr bleiben.
Aber, Herr Ministerpräsident, ich verrate auch kein Geheimnis, dass unter meinen Handwerkskollegen auch die Frage aufkommt, ob eine Alleinregierung – wenn ich das mal so nennen darf – auch stets das Koordinatensystem eingenordet hat. Meine Kollegen sagen das zwar ein bisschen anders, ich will es aber mal in diese Formulierung packen. Darüber nachzudenken im Kabinett kann ja wohl kein Fehler sein.
Sehr geehrte Damen und Herren!
Eines ist neu in dieser Bundesrepublik Deutschland und das haben wir in Thüringen: eine Vereinbarung zwischen Landesregierung und Thüringer Handwerkstag e. V. Das ist ein Willensbekenntnis zur Gemeinsamkeit, das wirklich einen hohen Stellenwert hat. Jedenfalls schätzen wir das im Handwerk so ein, und dafür sind wir auch unserem Ministerpräsidenten dankbar. Es gibt immer Kritiker in unseren eigenen Reihen, die fragen so einfach dahin: was hat uns das alles gebracht. Die Frage ist gut, weil sie zeigt, dass der Fragende weiß, dass es eine Vereinbarung gibt. Die Frage ist schlecht, weil sie zeigt, dass der Fragende sich damit nicht ausreichend beschäftigt hat. Ich möchte deshalb noch mal den Grundsatz sagen: diese Vereinbarung ist ein Willensbekenntnis zum Handeln. Es ersetzt aber kein Handeln! Bewegen muss man sich schon. Und zwar jede Seite. Auch wir. Deshalb ist es wichtig, die Bilanz zu ziehen. Erinnern Sie sich. Wenn Sie die Tagungsmaterialien vom letzten Jahr in Suhl noch zur Hand haben, können Sie eine Bilanz nachlesen. Und wenn Sie heute die Mappe aufschlagen, können Sie wieder eine Bilanz nachlesen. Wir haben uns wieder die Frage gestellt, was haben wir mit der Vereinbarung gemacht, welches sind die Ergebnisse. Gemeinsam mit dem Wirtschaftsminister sind wir die einzelnen Posten durchgegangen. Wir haben aufgeschrieben, was erreicht wurde, wo wir stehen. Das müssen wir einfach erst einmal zur Kenntnis nehmen. Und wir müssen uns selbst die Frage stellen, was haben wir eingebracht, sowohl an Aufgaben als auch an Lösungen. Ich empfehle, die Seiten, die Papiere in Ihrer Tagungsmappe dann zu Hause oder in der Versammlung unserer Handwerksorganisation kritisch zu wichten. Und wir sollten nicht nur die Frage stellen, wo und wie hat das Land Fördermittel gegeben. Das wäre primitiv. Wir sollten uns fragen, wo wir welche Aktivitäten geleistet haben, und zwar auf beiden Seiten – Soll und Haben! Wir müssen gemeinsam suchen, wo es Fehler gibt, wo wir als Handwerker aktiv werden können und wo wir unseren Vereinbarungspartner animieren können. Bei allen müssen wir aber stets auseinanderhalten: sind es Bundesangelegenheiten oder sind es Landesangelegenheiten. Denn wenn es um Landesdinge geht, da sind wir schon gefragt. Da werden wir auch gefragt. Allen, denen es nicht so aufgefallen ist, möchte ich unsere Stellung bei der Arbeit der Enquete-Kommission des Thüringer Landtages zum Thema „Wirt-schaftsförderung in Thüringen“ in Erinnerung rufen. Die Kommission hat sich auch Sachverständige berufen, und damit auch den Sachverstand des Handwerks. Unser erster Präsident war auf der Sachverständigenseite. Gewiss, ich möchte nicht verhehlen, dass wir vom Handwerk es nicht leicht hatten, selbst bei der landeseigenen Kommission uns genügend wiederzufinden im Abschlusspapier. Vielleicht waren wir auch zu anspruchsvoll – was ich nicht glaube. Aber letztlich ist unsere Meinung eingeflossen. Und da es unter anderem auch um das liebe Geld ging, haben wir unseren Standpunkt, der auch im Kommissionspapier zu finden ist, heute noch mal zusammengefasst als Forderungspapier in unseren Tagungsunterlagen. Da ich gerade vom Geld sprach: es ist so, wir können es drehen und wenden, wie wir wollen: die Finanzausstattung unserer Unternehmen ist zu gering. Da denke ich natürlich erst mal an den Bau, denn 60 % unserer Handwerksbetriebe in Thüringen haben mit dem Bau zu tun bzw. sind mit ihm verbunden. Ich denke aber auch an die 40 % der anderen Gewerke, wo bezüglich Geld Schmalhans Küchenmeister ist. Es ist doch nicht so, dass wir die Konten gefüllt haben wollen, es ist doch nur so, dass wir genügend Liquidität in unseren Betrieben zum einfachen Leben und Arbeiten benötigen. Deshalb geht unsere Forderung ja auch in Richtung der Banken, nicht nur für sich da zu sein, nach dem Motto „her mit jeder Mark“. Es geht darum, für uns kleine und mittlere Betriebe da zu sein, in der Fläche da zu sein und mit Programmen da zu sein, die bezahlbar sind. Dass man sich Gedanken machen kann in dieser Grundrichtung zum Geld zeigt doch unsere Landesregierung. Die Initiative unseres Justizministers in der Bundesratsinitiative zum „Unternehmer – Sicherungsgesetz“ ist ein deutliches Beispiel
a) für das Aufnehmen von unseren Forderungen durch die Landespolitik und
b) für die Bemühungen der Landespolitik zur Umsetzung unserer vorhin genannten Vereinbarung.
Das muss man sehen und würdigen.
Natürlich ist noch mehr notwendig. Was nützt uns die vom Wirtschaftsminister herausgegebene Vergaberichtlinie, wenn sich die Kommunen nicht daran halten! Hier gehört Druck hinein, und das über unsere Landesregierung, damit jeder Bürgermeister erkennt, dass er nicht nur für seine Gemeinde optimieren muss, sonder dass stets ein Stück Verantwortung für das Gemeinwohl dabei ist. Auch die Frage der Kommunalabgaben ist längst nicht geklärt. Hier stehen die Stichworte Transparenz und Gebührengerechtigkeit an oberster Stelle. Und weil das Landessache ist, steht hier die Frage, warum das noch nicht in der richtigen Form ist. Unsere Beamten in den Behörden müssten doch die Lösung mal greifbar haben.
Und wenn wir schon über die Kommunen reden, dann kommt sofort unsere Forderung erneut: strikte Eindämmung der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen. Das passt nicht in unsere Zeit. Gewiss haben wir im Handwerk mit unseren Kommunen darüber schon gesprochen. Die Sorgen und Nöte sind uns bekannt. Aber die Ursachen müssen angegangen werden. Es hat noch nie geklappt, einen Fehler mit einem anderen Fehler kompensieren zu wollen. Also bleibt es dabei: wirtschaftliche Betätigung gehört in die Wirtschaft – nicht in die Kommunen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Es gehört noch etwas in die Wirtschaft. Es ist die Ausbildung. Das Handwerk hat sich dieser Aufgabe stets angenommen. Bedenken Sie: fast 40 % aller Auszubildenden lernen im Handwerk. Natürlich haben wir eine angespannte Situation: viele Schulabgänger – schlechte Wirtschaftslage in den Betrieben. Die demographische Umordnung kommt. Ich kann nur jedem Handwerker empfehlen: Ausbildung – jetzt! Aber ich stehe mittendrin im Handwerk und weiß, was los ist. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir in Thüringen haben in den letzten zwei Jahren über 2000 Ausbildungsbetriebe durch den wirtschaftlichen Niedergang verloren! Lassen Sie diese Zahl auf sich wirken und lassen Sie die Zahl der Lehrstellen im Jahr 2001 auf sich wirken.
Dann wissen Sie, welche gewaltigen Anstrengungen unternommen werden im Handwerk und welche gewaltige Leistung im Handwerk vollbracht wird. Da führen dann die Anwürfe, die Wirtschaft würde ni
cht ausbilden, zur Selbstdisqualifikation derer, die das sagen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Frage stellen. Die Frage lautet: Handwerk – Quo vadis, Handwerk wohin gehst du? Wenn man die vielen Dinge sieht, die dem Handwerk mit eisigem Wind ins Gesicht wehen, da kommt schon die Berechtigung dieser Frage. Ich kann nur alle Verantwortungsträger auffordern, darüber nachzudenken. Wird das Handwerk geopfert im politischen Kleinkrieg, im Machtgerangel von denen, die auch für das Handwerk da sein sollten? Oder wird das Handwerk das Opferlamm für Europa auf dem Altar der Liberalisierung?
Viele Fragen, die ich in Richtung derer stelle, die hier Verantwortung tragen.
Ich gebe mir – für mich – die Antwort, dass es – solange es Menschen gibt, die Lebensbedürfnisse haben – auch Handwerk geben wird. Bloß – welche Lebensbedürfnisse in der Zukunft durch Handwerk noch befriedigt werden können, wenn es so weiter geht – das bleibt auch für mich offen.
Mit diesem Nachdenken über unsere gemeinsame Zukunft möchte ich jedermann aufrütteln, Zukunftsvisionen für uns alle zu entwickeln. Ich lade Sie und uns zu diesem Denkprozess gern ein. Damit möchte ich meine Ausführungen schließen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Es gilt das gesprochene Wort.
Sperrfrist: Redebeginn