Positionspapier anlässlich des 10. Parlamentarischen Abends des Thüringer Handwerks am 21. März 2002 in Erfurt
Wirtschaftliche Grundsatzfragen
Die Bilanz zur wirtschaftlichen Situation zu Beginn des Jahres 2002 ist ernüchternd.
DieBundesrepublik hat im internationalen Vergleich der führendenIndustrienationen weiter an Boden verloren.Die größte Verschuldung unddas geringste Wachstum in der EU sind beschämend für die BundesrepublikDeutschland. Dabei sind die bescheidenen Wachstumsraten beimBruttoinlandsprodukt der letzten Jahre fast ausnahmslos der Export w irtschaft zu verdanken, die wiederum von der deutlichen Abwertung desEuro gegenüber dem Dollar profitierte. Somit ist dasWirtschaftswachstum kein Ergebnis von Strukturverbesserungen.
Die Bundesregierung sollte nicht auf globale Impulse hoffen, sondern durch eigene Weichenstellung
Wachstumsimpulse geben.
InVorbereitung der Bundestagswahl 2002 muss ein Programm für die ZukunftDeutschlands formuliert werden, in dessen Inhalt ein glaubhafter unddurchgreifender Reformwille dokumentiert ist. Dieser Reformwille musssich in den Wirtschafts-, Sozial- und gesellschaftlichen Bereichendeutlich darstellen. Insbesondere geht es hierbei um folgendeSchwerpunkte:
– Beschleunigung der Unternehmenssteuerreform
– Rückführung der Öko-Steuer
– Umgestaltung der beitragsfinanzierten Sicherungssysteme
– Senkung der Lohnzusatzkosten auf unter 40%
– Deregulierung des Arbeitsmarktes und Erhöhung der Flexibilität
– Reform des Bildungswesens
Vor diesem Hintergrund erwartet das Thüringer Handwerk von derLandesregierung weiterhin eine deutliche Unterstützung bei derGestaltung einer handwerks- und damit mittelstandsfreundlichen Politik,verbunden mit einer zielgerichteten Einflussnahme auf dieBundespolitik. Anlässlich des 10. Parlamentarischen Abends hat derThüringer Handwerkstag e.V. erneut aktuelle Probleme in Form einesPositionspapieres erarbeitet.
Diese „Bestandsaufnahme“ enthältProblemstellungen auf Bundes- und Landesebene und ist an allepolitischen Verantwortungsträger in Thüringen gerichtet. Hierbei gehtes einerseits um die konkrete Umsetzung innerhalb der Landespolitik,als auch um die Einflussnahme im Rahmen der Mitbestimmung in Bundestagund Bundesrat. Die zentrale Zielstellung des Thüringer Handwerkstagese.V. ist und bleibt die Erreichung optimaler Rahmenbedingungen für dieHandwerksbetriebe.
Hierzu haben die im Thüringer Handwerkstag e.V. organisierten Kammern und Verbände nachfolgend wesentliche Eckpunkte formuliert:
1. Wirtschaftspolitik
Die Wirtschaftspolitik ist darauf zurichten, die Wirtschaftskraft und Wettbewerbsfähigkeit derHandwerksunternehmen nachhaltig zu sichern. Hierbei sind die bewährtenInstrumentarien beizubehalten bzw. bedarfsgerecht zu modifizieren.
1.1.
Das am 01.05.2000 in Kraft getretene Gesetz zurBeschleunigung fälliger Zahlungen hat das Ziel der Verbesserung derZahlungsmoral nicht im Ansatz erreicht. Das Handwerk begrüßt dieInitiative des Thüringer Justizministers in der Bundesratsinitiativezum „Forderungssicherungsgesetz“. Der entsprechende Kabinettsbeschlusszeigt, dass die Landesregierung an der Seite der Handwerker steht. DasThüringer Handwerk erwartet nunmehr eine kurzfristige Umsetzung desvorliegenden Gesetzentwurfes im Bundesrat.
1.2.
Der Entschließungsantrag der CDU-Bundestagsfraktion“Arbeitsplätze statt Tariftreuegesetz“ wird vom Thüringer Handwerkstage.V. begrüßt. Vor dem Hintergrund der immer enger werdenden rot-grünenReglementierungsschraube würde die Verabschiedung desTariftreuegesetzes das „Wirtschaftliche Aus“ für eine Vielzahl von Bau-und Ausbaubetrieben bedeuten. Im Ausbaugewerbe wird die Situation durchdas Bestehen verschiedener Regionaltarife zusätzlich erschwert. DerEntwurf des Tariftreuegesetzes in der vorliegenden Form wird vomThüringer Handwerk grundsätzlich abgelehnt.
1.3.
Im Rahmen der öffentlichen Vergabe sind Maßnahmen gefragt,die eine gerechte Vergabepolitik sichern und somit einen ausgewogenenWettbewerb zwischen den Anbietern gewährleisten. Seitens des Handwerksmuss weiterhin festgestellt werden, dass die bestehendeVergabe-Mittel-standsrichtlinie seitens der kommunalen Auftraggebernach wie vor nicht konsequent umgesetzt wird. Hier sind dieöffentlichen Auftraggeber anzuhalten, bei Auftragsvergabe unangemessenniedrige Angebote von der Auftragsvergabe konsequent auszuschließen.Ziel muss es im Interesse des Thüringer Handwerks sein, durch Prüfungder Angebote wettbewerbswidrigem Verhalten entgegenzuwirken.
1.4.
Das Thüringer Handwerk fordert eine Beschleunigung desAusbaus der Schienenwege, der Autobahnen sowie der Bundes- undLandstraßen. Im Rahmen geplanter Infrastrukturmaßnahmen sollte dieNutzung von gekoppelten Vorfinanzierungsmöglichkeiten durch private undöffentliche Geldgeber geprüft werden.
1.5.
Die Umsetzung der Energieeinsparverordnung mit dem Zieleiner deutlichen Verminderung der CO2-Emissionen bedarf einer Regelungdes Vollzuges seitens der Bundesländer. Der Thüringer Handwerkstag e.V.richtet an die Landesregierung die Bitte, eine klare undwirtschaftsnahe Regelung zum Vollzug zu finden, die allen betroffenenGewerken gerecht wird.
2. Finanz- und Steuerpolitik
2.1.
Die Ökosteuer hat das gesteckte Ziel nicht erreicht. Dieangestrebte Beitragsentlastung für Arbeitnehmer und Unternehmen hatnicht den nachhaltigen Erfolg gebracht. Auch die angestrebteRückführung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages deutlich unter 40 %wurde trotz Ökosteuer verfehlt. Insbesondere die energieintensivenHandwerksbetriebe sind durch die Ökosteuer belastet. Die Besteuerungdes Sockelbetrages führt zu einer überproportionalen Belastung derkleinen und mittleren Unternehmen. Die Ökosteuer wird daher vomThüringer Handwerk weiterhin abgelehnt.
2.2.
Durch den Thüringer Handwerkstag e.V. wurde schon mehrfachdie steuerliche Anerkennung von Handwerkerrechnungen des Bau- undAusbaugewerbes für private Auftraggeber und/oder die Halbierung dergesetzlichen Mehrwertsteuer gefordert. Dies würde zu einer Eindämmungder Schwarzarbeit und damit zu einer verstärkten Nachfrage nachHandwerkerleistungen führen. Darüber hinaus fordert das ThüringerHandwerk, verschärfte Sanktionen gegenüber Schwarzarbeitern undAuftraggebern von Schwarzarbeit zu ergreifen.
2.3.
Zur Unterstützung der ostdeutschen Handwerksunternehmen istdie Umsatzsteuerabführung generell nach den vereinnahmten Entgeltenvorzunehmen.
2.4.
Ein generelles Problem für kleine und mittlere Unternehmenist die zu geringe Finanzausstattung. Steigende Forderungsausfälle,hohe Lohnzusatzkosten und Abgabenbelastungen haben zu rückläufigenErträgen geführt und verursachen einen zunehmenden Bedarf anFremdmitteln. Erschwert wird diese Situation durch sich vollziehendeVeränderungen bei den Finanzierungsangeboten der Banken. Diebestehenden Thüringer Programme, wie z.B. das Programm Gründungs- undWachstumsfinanzierung (GuW) haben sich zwar bewährt, greifen jedoch imBereich Bau- und Ausbau kaum, da sich viele Kreditinstitute nichtbeteiligen. Insbesondere die Privatbanken ziehen sich zunehmend aus demmittelständischen Kreditgeschäft zurück. Verschärft wird dieseSituation durch die Beschlüsse des „Baseler Ausschusses fürBankenaufsicht“. Hier bedarf es einer verbesserten Verständigungzwischen Politik, Kreditwirtschaft und der Wirtschaft.
2.5.
In den letzten Jahren hat sich die Finanzkraft der Kommunenpermanent verschlechtert. Die damit verbundenen Auswirkungen auf dieInvestitionsfähigkeit der Städte und Gemeinden führten zu einemweiteren Rückgang der öffentlichen Investitionen und somit zu einerdeutlichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der kleinenund mittleren Unternehmen des Bau- und Ausbaugewerbes. DieBundesregierung muss die Investitionsfähigkeit der Städte und Gemeindenwieder herstellen. Hierzu bedarf es einer verstärkten Einflussnahme derLandesregierung.
2.6.
Im Einklang mit den Empfehlungen der Enquetekommis
sion“Wirtschaftsförderung in Thüringen“ fordert der Thüringer Handwerkstage. V., die seit 2002 eingeschränkte Investitionszulage wieder für alleHandwerksunternehmen zu öffnen. Die bewährten Förderinstrumente desLandes sind beizubehalten. Grundsätzlich sollte bei deren zukünftigerGestaltung Augenmerk auf die Ausgewogenheit bei der Förderung vonbestehenden Betrieben und Existenzgründern gelegt werden.
3. Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
3.1.
Der Thüringer Handwerkstag e.V. fordert von derLandesregierung die Unterstützung zu einer unternehmensfreundlichenArbeitsmarktpolitik. Dabei geht es schwerpunktmäßig um eine weitereVerknüpfung von Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsförderung zur Verhinderungder Konkurrenz zwischen dem ersten und zweiten Arbeitsmarkt. DieForderung der Wirtschaft besteht unverändert darin, die Förderung deszweiten Arbeitsmarktes zu reduzieren und verstärkt diebeschäftigungsschaffende Infrastruktur zu fördern, um somit positiveImpulse für den ersten Arbeitsmarkt zu erreichen. Bei einerErwerbslosenquote von über 17 % in Thüringen besteht die dringendeNotwendigkeit einer bedarfsgerechten Qualifizierung von Arbeitslosen,um den Übergang in den ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern.
3.2.
Rechtsanspruch auf Teilarbeitszeit, Kündigungsschutzgesetzin der vorliegenden Form, 100 %ige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall,überzogenes Betriebsverfassungsgesetz und die aus Sicht des Handwerksüberreglementierte geringfügige Beschäftigung sind nur einigeBeispiele, mit denen die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) inswirtschaftliche Abseits gedrängt werden. Hier bedarf es dringend einerReform seitens der Bundesregierung.
3.3.
Die wirtschaftliche Situation der Handwerksunternehmen wirddurch eine hohe Gebühren-, Beitrags- und Abgabenlast zusätzlichverschärft. Notwendig sind hierzu Erleichterungen für KMU insbesonderedurch Kleinbetriebs- und Kleinmengenregelungen auf Landesebene.
3.4.
Das derzeitige Arbeitsrecht eröffnet den Unternehmen zuwenig Möglichkeiten, die notwendige Personalstärke an diewirtschaftliche Lage anzupassen und flexibel zu reagieren. Weiterhinfehlt dem Handwerk ein Niedriglohn-Sektor, der es den Betriebenermöglicht, die Ausführung einfacher Arbeiten bezahlbar zu machen undsomit neue Arbeitsplätze zu schaffen. Die Einführung eines praktikablen“Kleinen Beschäftigungsverhältnisses“ sowie die deutliche Anhebung derBeschäftigtengrenze im Kündigungsschutzgesetz sind Forderungen desThüringer Handwerks.
3.5.
Vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen sind durchdie bestehende Flut von bürokratischen Vorschriften und Gesetzen undder damit verbundenen Abwälzung von Bürokratiekosten stärker belastetals Großunternehmen. Nach Angaben des Instituts fürMittelstandsforschung ist jeder deutsche Arbeitsplatz im Durchschnittdurch bürokratische Anforderungen des Staates mit Kosten in Höhe vonrund 1.800 Û belastet. Für Kleinunternehmen mit weniger als neunBeschäftigten liegt die durchschnittliche Belastung für die Berechnungvon Steuern, Sozialabgaben u.ä. je Arbeitsplatz bei fast 3.500 Û imJahr, während sich die Kosten bei Großunternehmen auf etwa 150 Ûreduzieren. Hier ist dringender Handlungsbedarf
seitens der Bundesregierung gefragt.
3.6.
Die Reform der Krankenversicherung mit einer gesetzlichenMindestversicherung und einer freiwilligen beitragsabhängigenZusatzversorgung ist dringend notwendig, um die gesetzlicheKrankenversicherung auf Dauer zu sichern. Der Thüringer Handwerkstage.V. tritt dafür ein, dass Leistungen auf das medizinisch Notwendigebeschränkt werden und individuelle Zusatzleistungen durch privateKrankenversicherungen abgesichert werden.
4. Bildungspolitik
4.1.
Die 75-prozentige Förd e rung der überbetrieblichen Lehru nt e rweisung im Freistaat Thüringen ist auch künftig beizubehalten. Sieist ein wichtiger Baustein in der handwerklichen Berufsausbildung.
4.2.
Ausgehend von den Ergebnissen der PISA-Studie und derAnalyse der „Ausbildungsfähigkeit von Regelschülern in Thüringen“ sindumgehend entsprechende Strategien und Umsetzungsvorschläge zuerarbeiten, die mittel- und langfristig die Ausbildungsfähigkeit derSchulabgänger verbessern. Diese dürfen sich jedoch nicht nur aufÄnderungen im Schulwesen beschränken.
4.3.
Im Bereich der Berufsschulen ist bereits jetzt ein Mangel anFachlehrern zu beklagen. Bedingt durch das relativ hoheDurchschnittsalter der Lehrer wird sich diese Situation nochverschärfen. Hier sind neue, umsetzbare Wege zu finden, die dieserEntwicklung entgegen wirken. Die Ressourcen müssen verstärkt auf dieKernaufgabe der Berufsschulen, die Absicherung des Unterrichts imRahmen der dualen Ausbildung, konzentriert werden.
4.4.
Die Qualifizierung von Arbeitnehmern und Arbeitslosen musssich am konkreten Bedarf der Betriebe orientieren und schnell zurealisieren sein. Die bisher in der Regel praktizierte Förderung mussflexibler gestaltet werden und auch die Förderung von kleinen Gruppenbis hin zur Einzelförderung ermöglichen.
Der Thüringer Handwerkstag e.V. wird mit den politischenVerantwortungsträgern kontinuierlich Gespräche führen, umLösungsansätze für die aufgezeigten Probleme zu diskutieren. Natürlichgibt es noch eine Vielzahl hier nicht aufgeführter gewerkespezifischerProbleme, die mit den unterschiedlichen Ressorts in der Landesregierunggeklärt werden müssen. Die bestehende Vereinbarung zwischen demThüringer Handwerkstag e.V. und der Thüringer Landesregierung vom23.06.2000, deren wesentliches Ziel in der Schaffung notwendigerRahmenbedingungen für die Zukunftssicherung des Handwerks besteht, isthierbei die entsprechende Plattform. 21.03.2002