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„Vom Handwerk bliebe nichts übrig“

Pressemitteilung 28.04.2003

„Vom Handwerk bliebe nichts übrig“

„Die Referentenentwürfe zu den Reformplänen der Bundesregierung zur Handwerksordnung
sind inakzeptabel. Sie sind mit zu heißer Nadel gestrickt, unausgereift, unausgewogen und
voller inhaltlicher Fehler.“ Für den Präsidenten des Thüringer Handwerkstages e.V., Rolf
Ostermann, ist mit der Vorlage der Entwürfe eines klar: Das Ziel der Bundesregierung ist die
Zerstörung des Deutschen Handwerks. „Und das muss verhindert werden.“ Er hofft dabei
auch auf die Unterstützung der Thüringer Landesregierung, die über den Bundesrat ihren
Einfluss geltend machen soll.

Die Entwürfe aus dem Hause von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement sehen eine
Reduzierung der Meisterberufe von derzeit 94 auf geplante 32, die Aussetzung eines
Ausbildungseignungsnachweises in der betrieblichen Ausbildung, die Herauslösung weiter
Teile handwerklicher Tätigkeiten aus dem Handwerk, die Atomisierung des Meisterbriefes als
Basis unternehmerischer Tätigkeit im Handwerk und nicht zuletzt die Freistellung des
Kammerbeitrages für Existenzgründer vor. Außerdem sollen die Verbände des Handwerks
wie Landesinnungs- oder Bundesinnungsverbände ihren Status als Körperschaft des privaten
Rechts verlieren und lediglich als Vereine weiterexistieren. „Die Innungs- oder Fachverbände
sind im Handwerk Tarifpartner und sie übernehmen wichtige Aufgaben in der Organisation
der betrieblichen Ausbildung. Die Bundesregierung würde mit einem Federstrich lang
gewachsene tarifpolitische Konstellationen zerschlagen, die mit Erfolg arbeiten und die seit
Jahrzehnten betrieblichen Frieden garantieren. Wir können nicht zulassen, dass ohne Grund
und ohne Not hier an handwerklichen Selbstverwaltungsorganisationen hantiert wird,“
äußerte sich THT-Vizepräsident Karl-Heinz Schneider, der als Landesinnungsmeister dem
Landesinnungsverband der Thüringer Dachdecker vorsteht.

„Die beiden Entwürfe sind durchtränkt von politischer Überheblichkeit, gepaart mit
wirtschaftlicher Ahnungslosigkeit. Das zusammen ist eine hochexplosive Mischung, die weite
Teile des Handwerks zerstören würde. Der Verbraucherschutz wird mit Füßen getreten, die
nachweisliche und anerkannte Qualität der handwerklichen Arbeit und der Ausbildung im
Handwerk reduziert und die wirtschaftliche Selbstverwaltung erneut verstaatlicht. Ich kann
nur hoffen, dass die Regierungsmitglieder die Referentenentwürfe schnellstens in den
Reißwolf legen und konstruktive Gespräche mit dem Zentralverband des Deutschen
Handwerks aufnehmen. Der ZDH hat eigene Vorschläge zur Weiterentwicklung des
Handwerks und der Handwerksordnung erarbeitet. Beratungen dazu mit dem
Bundeswirtschaftsministerium haben allerdings noch nicht stattgefunden,“ erklärte THT-Präsident
Ostermann.

Am 28. Mai sollen die Referentenentwürfe im Kabinett beraten und beschlossen werden.
Anschließend beginnen die Beratungen in Bundestag und Bundesrat.

Briefwechsel zwischen Handwerk und Politik

Briefwechsel zwischen Handwerk und Politik:

Alles auf dem Weg?

Schnell war die Antwort, die aus dem Bundeswirtschaftsministerium auf den Brief des Thüringer Handwerkstages nach der Handwerker-Demo in Erfurt folgte. Ob die Qualität in-des mit der Geschwindigkeit mithalten konnte, soll jeder selbst entscheiden. Beide Briefe sind hier in voller Länge abgedruckt.
Zuerst das THT-Schreiben:
Sehr geehrter Herr Bundesminister Clement,
mit den Demonstrationen und Kundgebungen in den Ländern sowie der Abschlusskundgebung in Berlin hat das Handwerk den Versuch unternommen, die Probleme des täglichen Lebens und die Sicht zur Zukunft unter den jetzigen politischen Bedingungen der Bundesregierung deutlich zu machen.
Auch das Thüringer Handwerk hat am 7. Februar 2003 mit einer nie da gewesenen Demonstration sich positioniert.
Die wichtigsten Vorschläge, Notwendigkeiten und Forderungen hat das Thüringer Handwerk in einer Resolution zusammengefasst. Diese möchten wir Ihnen in der Anlage übergeben, in der Hoffnung, dass Sie und die weiteren Mitglieder der Bundesregierung daraus die notwendigen Anregungen für das zukunftsorientierte Handeln entnehmen können beziehungsweise bestätigt bekommen.
Sehr geehrter Herr Bundesminister Clement, Ihr Auftritt in Berlin hat gezeigt, dass Sie aktiv die Belange des Handwerks sich anhören. Ihre Ansprache hat auch gezeigt, dass Sie sich einige Anregungen zu eigen machen könnten.
Dafür gebührt Ihnen unser Dank.
Einen schlechten Beigeschmack hat allerdings Ihre Einschätzung der Rolle der Wiedervereinigung zur jetzigen Wirtschaftslage. Das wirkt schon brüskierend für uns in den Neuen Bundesländern. Hätte es die Wiedervereinigung nicht gegeben, dann hätten Sie die Wirtschaftslage nicht erst als Bundesminister zu bewerten, sondern Sie hätten diese bereits als Ministerpräsident zu spüren bekommen. In der Hoffnung, dass über die Willensbekundungen des Handwerks eine neue Qualität im dringend notwendigen Miteinander von Politik und Wirtschaft erreicht wird, verbleiben wir mit freundlichen Grüßen Ostermann, Präsident Dr. Artymiak, Geschäftsführer

Die Antwort
Sehr geehrter Herr Ostermann,
sehr geehrter Herr Artymiak,
vielen Dank für Ihren Brief vom 12. Februar an Herrn Minister Clement,
mit dem Sie die Resolution „Den Thüringern reicht´s“ übermittelt haben. Herr Minister hat mich gebeten, Ihnen zu antworten. Die Bundesregierung berücksichtigt die angemessenen Belange des Handwerk bei allen politischen und gesetzgeberischen Maßnahmen. So entlastet die Steuerreform durch allgemeine Tarifabsenkungen und Anrechenbarkeit der Gewerbe auf die Einkommenssteuer vor allem auch Handwerk und Mittelstand, ab dem Jahr 2005 um rund 16,7 Mrd. Euro p.a. Das Verschieben der zweiten Stufe um ein Jahr bedeutet auch für das Handwerk eine Belastung. Allerdings bestand wegen des Soforthilfeprogramms für die Flutopfer ein breiter gesellschaftlicher Konsens für die Verschiebung. Die ausstehenden Entlastungsstufen werden jetzt planmäßig durchgeführt. Der begonnene Trend zur dauerhaften Entlastung wird durch das Steuervergünstigungsabbaugesetz nicht in Frage gestellt. Die Steuereinnahmen blieben auf grund der anhaltenden konjunkturellen Wachstumskonsolidierung hinter den Erwartungen zurück. Es blieb der Bundesregierung zur Haushaltskonsolidierung keine andere Wahl, als auch Steuervergünstigungen abzubauen. Die Maßnahmen des Steuervergünstigungsabbaugesetzes sind mit der Absicht, keine gesellschaftliche Gruppe über Gebühr zu belasten, breit gestreut worden. Insoweit wurden Handwerk und Mittelstand nicht überproportional belastet. Es ist Ziel der Bundesregierung, mit umfassenden Reformen im Sozialversicherungswesen die Lohnnebenkosten herabzusenken. Wegen der Komplexität der Materie ist die Beauftragung der Rürup-Kommission mit den Vorarbeiten erforderlich. Bei grundlegenden Strukturreformen geht ein strategisch durchdachtes Konzept vor aktionistischen Schnellschüssen. Neben den umfassenden bereits durchgeführten bzw. geplanten Reformen im sozialen Sicherungssystem hat die Bundesregierung mit der Umsetzung des Hartz-Konzeptes auch eine umfassende Arbeitsmarktreform angepackt, von der man Entlastungen von rund 6 Mrd. Euro p.a. erwartet. Derzeit wird im BMWAI ein Konzept zur Liberalisierung von Kündigungsschutz und Arbeitsrecht erstellt. Auf der Basis von Vorschlägen der Wirtschaftsverbände wird ein umfangreicher Masterplan zum Bürokratieabbau entwickelt. Weitere Möglichkeiten zur Verbesserung der Zahlungsmoral bei Bauwerkverträgen werden derzeit von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Federführung des BMJ (Bundesministerium für Justiz) geprüft. Es ist nicht geplant, die Selbstverwaltung des Handwerks oder den Großen Befähigungsnachweis in Frage zu stellen.

Mit freundlichen Grüßen
G. Schmidt

 

11. Parlamentarischer Abend des Thüringer Handwerks am 2. April 2003

Positionspapier
des Thüringer Handwerks zur Landespolitik anlässlich des
11. Parlamentarischen Abends am 2. April 2003

Wenngleich die vom Thüringer Handwerk bewertete Mittelstandsoffensive durch die Bundesregierung zu verantworten ist, ergibt sich aber auch für die Thüringer Landesregierung ein ständiges Handlungsfeld zur Wirtschaftsentwicklung. Auf Grundlage der Ver-einbarung zwischen der Thüringer Landesregierung und dem Thüringer Handwerkstag e.V. vom 23.06.2000 ist vieles erreicht worden. Dies wird in der hierzu vorliegenden Halbzeitbilanz vom November 2002 deutlich. Jedoch erwartet der Thüringer Handwerkstag e.V. neben der Unterstützung bei der Umsetzung seiner Forderungen auf Bundesebene weiterhin konkrete Maßnahmen
seitens der Landesregierung. Für die Fortschreibung der oben genannten Vereinbarung sollen unter anderem folgende Sachverhalte aufgearbeitet werden:

– Schaffung eines Förderdarlehens für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) bis 20.000 € in direkter Vergabe durch die Thüringer Aufbaubank

– Bei der Förderung mit Zuschüssen aus dem Landesinvestitionsprogramm sollte keine Branche des Handwerks ausgeschlossen werden. Dies insbesondere vor dem Hintergrund des Wegfalls der Investitionszulage für Betriebe, die nicht dem verarbeitenden Gewerbe zugeordnet werden können.

– Einbindung der Handwerkskammern bei Einführung neuer bzw. Änderung bestehender Förderprogramme

– Bei der Vergabe seitens der öffentlichen Hand sind die Kommunen und Landkreise konsequent in die Vergabe-Mittelstandsrichtlinie einzubinden. Dies betrifft analog die Anwendung der VOB und VOL. Hierzu sollten seitens des TMWAI in jedem Plangebiet Beratungen mit den Kommunen zum öffentlichen Auftragswesen durchgeführt werden.

– Die vom Land gestartete Initiative zur Entbürokratisierung ist konsequent als gesamtgesellschaftlicher Prozess und auch für das Handwerk spürbar fortzusetzen.

– Alle Maßnahmen zur Modernisierung der Berufsausbildung und zur Förderung von Ausbildungsplätzen sind vom Land konstruktiv zu begleiten.

– Außenwirtschaftsaktivitäten Thüringer Handwerksunternehmen sind intensiver als bisher zu fördern und zu begleiten.

– Die Initiative des Landes Thüringen zur Unterstützung geplanter Fusionen der Ver- und Entsorgungszweckverbände mit dem Ziel der Schaffung effektiver wirtschaftlicher Einheiten ist zu begrüßen. Dieser begonnene Prozess ist vom Land kritisch zu begleiten.

– Die Förderung des organisationseigenen Beratungswesens im Handwerk ist weiterhin uneingeschränkt sicherzustellen mit dem Ziel, durch kostenlose Beratungsleistungen, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, einen Nachteilsausgleich gegenüber Großbetrieben zu schaffen.

– Die Aktivitäten zur Verfolgung von Schwarzarbeit sind zu verstärken. Hierzu ist insbesondere die Zusammenarbeit aller Institutionen und Behörden, die sich im Kampf gegen die Schwarzarbeit befinden, durch eine Zentralstelle zu verbessern.

– Kreditgenehmigungen für Neuverschuldungen der Kommunen sollten bei rentierlichen Investitionen seitens des Landes ermöglicht werden.

– Die bestehenden Bildungszentren des Handwerks sind auch zu Kompetenzzentren weiterzuentwickeln. Es ist das Ziel, eine höhere wirtschaftliche Effizienz dieser Einrichtungen anzustreben. Die Vertreter des Handwerks wollen mit diesem Positionspapier den Dialog mit der Politik weiterführen. Im Gespräch mit politischen Verantwortungsträgern auf Bundes- und Landesebene sollten Lösungsansätze zu den aufgezeigten Problemen diskutiert werden.

Unser gemeinsames Ziel besteht dabei in der Schaffung mittelstandsfreundlicher Rahmenbedingungen für die Zukunftssicherung des Thüringer Handwerks.