Mitgliederversammlung des Thüringer Handwerkstages am 25. November 2008 in Suhl
Ein mutiger Staat wirkt ansteckend
Thüringer Handwerkstag fordert verstärkte Anstrengungen, um die Binnennachfrage zu stabilisieren
Die deutsche Wirtschaft steckt in der Rezession und wird im kommenden Jahr auf eine erheblichen Belastungsprobe gestellt. Das stark verringerte internationale Wachstum und die immer noch nicht voll abschätzbaren negativen Rückwirkungen der Finanzkrise werden deutliche Bremseffekte quer durch die deutsche Wirtschaft zur Folge haben. Betroffen ist davon auch das Handwerk, ein Wirtschaftsbereich, der vorwiegend von der Binnenkonjunktur und der Binnennachfrage lebt und sich gerade auch in Thüringen in den letzten Jahren erfolgreich in Zulieferbereichen für die Industrie etabliert hat. Der Thüringer Handwerkstag als Interessenvertreter von rund 31.500 Handwerksbetrieben im Freistaat mit 141.000 Beschäftigten und über 12.700 Lehrlingen fordert von Bund und Land umgehend Maßnahmen, die sowohl kurzfristig Nachfrage schaffen als auch langfristig für die Stärkung des Binnenmarktes sorgen. Die bisher eingeleiteten Schritte sind nach Meinung des Thüringer Handwerkstages, dessen Mitgliedsorganisationen sich heute zur Mitgliederversammlung in Suhl treffen, richtig und wichtig, jedoch nicht ausreichend.
Die Herbst-Konjunkturumfrage der Handwerkskammern deuteten bereits auf ein Abflauen der Konjunktur hin, konnten aufgrund ihres frühen Zeitpunktes die Auswirkungen der Krise auf das Handwerk jedoch nicht komplett wiederzuspiegeln. Dennoch weisen der Konjunkturklimaindex, der im Vergleich zum Vorjahr um rund drei Punkte auf 75 Punkte gesunken ist, und die Einschätzung der Betriebe für das Winter-Quartal auf einen Abschwung im Handwerk hin.
„Die Weltfinanzkrise hat sich längst niedergeschlagen auf die reale Wirtschaft. Wir erleben derzeit einen Vertrauenseinbruch, der sich über alle Länder, die gesamte Wirtschaft und die Konsumenten erstreckt. Wo Vertrauen zerstört ist, muss Vertrauen wieder neu geschaffen werden, global wie lokal. Hierin sehe ich die Hauptaufgabe der Bundesregierung und auch unserer Landesregierung“, unterstrich der Präsident des Thüringer Handwerkstages (THT) während der THT-Mitgliederversammlung. Laut Ostermann ist das beschlossene 15-Punkte Maßnahmenpaket zur Stützung der Konjunktur ein wichtiger aber nur ein erster Schritt. „Jetzt gibt der Staat Geld dazu, wenn investiert und gekauft wird. Besser wäre, wenn der Staat den Menschen gleich genügend Geld ließe, um es zu investieren. Wir brauchen mehr denn je eine Reform der Lohn- und Einkommenssteuer, die vor allem kleine und mittlere Einkommen entlastet indem die kalte Progression und damit die heimliche Steuererhöhung eingedämmt wird. Hauptbegünstigte von Lohnsteigerungen müssen die Beschäftigten sein und nicht der Finanzminister.“
Der schwache Konsum hat vor allem im Kfz-Handwerk und in den personenbezogenen Dienstleistungsberufen tiefgreifende Auswirkungen. Umsatzeinbußen und Auslastungsprobleme kennzeichnen beide Bereiche seit geraumer Zeit. In beiden Bereichen liegt der Herbst-Konjunkturklimaindex bei lediglich rund 60 Punkten. Zum Vergleich: Am besten schätzen das Nahrungsmittelhandwerk, die Ausbaugewerbe und die Handwerke für den gewerblichen Bedarf mit jeweils über 80 Punkten ihre aktuelle Lage ein.
Nach Auffassung des THT legt die Krise nunmehr die strukturellen Defizite in Deutschland offen. Er warnt davor, die zwingend notwendigen Reformen aufgrund der Wirtschaftskrise auf die lange Bank zu schieben. Die Bundesregierung habe eine Handlungsverantwortung gegenüber der Gesamtgesellschaft und nicht nur gegenüber einzelne kriselnde Industriebereiche, betont Ostermann.
In der aktuellen Situation fordert der Thüringer Handwerkstag von Bund und Ländern, verstärkt in Infrastrukturmaßnahmen zu investieren. „Das Land und die Kommunen sind für viele Betriebe wichtige Auftraggeber. Es wäre jetzt ein wichtiges Zeichen, wenn der unzweifelhaft bestehende Sparzwang der öffentlichen Hand zugunsten verstärkter Investitionen beispielsweise in Bildung, Verkehr und Kommunikation zeitweilig gelockert würde,“ so Ostermann. Man könne schließlich nicht von den Menschen erwarten, jetzt Autos zu kaufen oder ihre Häuserfassaden zu dämmen und selbst die notwendigen Investitionen nicht tätigen. Der THT-Präsident weiter: „Es gehört zur Psychologie der Wirtschaft, dass ein mutiger Staat ebenso ansteckend wirkt wie ein ängstlicher Staat. Ich wünsche mir in der jetzigen Situation einen mutigen Staat.“
Das 15-Punkte-Programm der Bundesregierung beinhaltet einige Punkte, von denen das Handwerk direkt profitieren kann. Vor allem sind dies der erhöhte Steuerbonus auf Handwerkerleistungen, die Aufstockung des CO2-Sanierungsprogramms sowie Kreditprogramme für kleine und mittlere Betriebe. Diese wie auch die anderen Maßnahmen des Pakets können ihren Beitrag dazu leisten, einen Konjunktureinbruch abzubremsen. In ihrer Gesamtheit, ihrem finanziellen Umfang und in ihrer zeitlichen Befristung sind sie jedoch eher als „ad hoc-Aktion“ zu begreifen und befreien nicht von weiterreichenden Reformschritten.
Der THT fordert daher von Bund und Ländern, die Krise als Chance für grundlegende Strukturreformen zu nutzen. Steuer- und Unternehmenssteuerreform, Reform der Sozialversicherungen, Reformen auf dem Arbeitsmarkt und ein konsequenter Bürokratieabbau sollten zu den Konsequenzen der Wirtschaftskrise gehören. In einem Positionspapier hat der Thüringer Handwerkstag die wesentlichen Forderungen näher ausgeführt.
Bildung und Fachkräftesicherung
Im Thüringer Handwerk wird weiterhin in die Zukunft investiert. Das Thema Bildung, Qualifizierung und Fachkräftesicherung bleibt weit oben auf der Agenda wichtiger Handlungsfelder für das Handwerk im Freistaat. Im Rahmen des Thüringer Bildungspaktes Handwerk, im Frühjahr diesen Jahres unterzeichnet, wurden erste Arbeitskreise gebildet, um die wichtigsten Handlungsfelder zwischen Kultusministerium und Handwerk abzustecken. Ganz wesentlich bleibt für das Handwerk die Heranbildung des Fachkräftenachwuchses, den das Handwerk traditionell über die eigene Ausbildung praktiziert. Mit sinkenden Schüler- und damit Bewerberzahlen wird sich die Suche nach geeigneten Bewerbern um offene Ausbildungsplätze jedoch zunehmend schwieriger gestalten.
Sorge bereitet dem Handwerk die zunehmende Diskrepanz zwischen wachsenden Ausbildungsansprüchen und schulischen Grundkenntnissen. Obwohl seit vielen Jahren vom Handwerk Besserung angemahnt wird, bleiben vor allem in Mathematik und den naturwissenschaftlichen Fächern die schulischen Leistungen zu oft unzureichend und erschweren eine erfolgreiche Ausbildung. Weiterhin Probleme bereiten weiterhin die Sekundärtugenden wie Motivation, Pünktlichkeit, Höflichkeit oder Sauberkeit.
An einem weiteren Defizit – der unzureichenden Berufsorientierung – arbeitet das Thüringer Handwerk seit einigen Jahren erfolgreich mit Thüringer Regelschulen zusammen. Das Projekt „Berufsstart plus“ vermittelt Schülern der 7. bis 10. Klassen Ausbildungsberufe praxisnah. Viele tausend Schüler durchliefen die Infotage, Praktika und Eignungstests in den Bildungszentren des Handwerks und in kooperierenden Praktikumsbetrieben. Das Handwerk konnte dank dieses Projektes die ohnehin niedrige Abbrecherquote von rund sechs Prozent stabilisieren.
Zu den Zielen des Bildungspaktes Handwerk gehört die bessere Verknüpfung von beruflicher und schulischer beziehungsweise hochschulischer Bildung. Ein zweites Thüringer Duales Studien-Modell im Handwerk konnte im Zuge des Paktes in diesem Jahr mit neun Lehrlingen begonnen werden. Zusammen mit der Fachhochschule Schmalkald
en wird in dem neuen Modell eine Kombination von Elektronikerausbildung und Bachelor-Studium angeboten. Beide Ausbildungen werden in diesem Modell in insgesamt nur 5 ½ statt üblicher 7 Jahre absolviert.
Spitzenleistungen brauchen Spitzenhandwerker: Damit das Handwerk auch künftig den technischen Anforderungen und den Wünschen der Kunden gerecht wird, sind hervorragend ausgebildete und leistungsbereite Fachkräfte nötig.
Diese werden mehr denn je gebraucht. Der Thüringer Handwerkstag erwartet, dass in den nächsten 15 Jahren rund 10 000 Betriebe aus Altersgründen übergeben werden. Das ist rund ein Drittel des heutigen Betriebsbestandes. „Wir hatten nach der Wende eine Flut an Existenzgründungen. Viele der Existenzgründer von einst kommen in den nächsten 10 bis 15 Jahren ins Rentenalter. Die Betriebsübergaben wollen wir nutzen, nicht nur junge Handwerksmeister für eine Existenzgründung als Betriebsübernehmer zu begeistern, sondern damit auch gleichzeitig einen Know-How-Schub ins Handwerk zu bringen. Wir können es uns nicht leisten, das Wissen und die Erfahrung lange am Markt tätiger Betriebe einfach liegen zu lassen,“ erläutert Ostermann. Mit speziellen Beratungen und Qualifizierungen wollen die Handwerksorganisationen den Prozess unterstützen.
Da sich das Gros der Betriebsübergaben in einem Zeitraum abspielen wird, in dem sich in einigen Regionen teilweise massiv die demografische Entwicklung auswirken wird, kommt einer intensiven Beratung besondere Bedeutung zu. „Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass sich die Märkte in weiten Teilen Thüringens massiv ändern werden. Während sich die größeren Städte entlang der Autobahnen relativ konstant weiter entwickeln, wird es in manchen ländlichen Regionen zu einer Entvölkerung kommen. Wir als Handwerk sind aber von den Aufträgen aus der Region abhängig. Rund 80 Prozent unserer Betriebe leben vom Absatz in einem Umkreis von weniger als 30 Kilometern, also rund um den Kirchturm.“ Die Betriebe werden sich diesen veränderten Bedingungen anpassen müssen und beispielsweise neue und veränderte Dienstleistungen und Produkte anbieten. Diesen Prozess wird die Handwerksorganisation aktiv mit angepassten Bildungs- und Beratungsangeboten begleiten.