Fachkräftemangel und Nachfolgersuche spitzen sich zu
Wie die demografische Entwicklung das Handwerk verändert
Schaut man auf die Entwicklung des Handwerks in den letzten Jahren, so überwiegen die positiven Nachrichten. Die meisten Handwerksbetriebe profitieren von der anhaltend guten konjunkturellen Lage, wie die prall gefüllten Auftragsbücher zeigen. Wartezeiten von zehn Wochen sind für viele Kunden mittlerweile Alltag. Auch die Umsätze steigen mehrheitlich. Anhaltende Niedrigzinsen und die hohen privaten und staatlichen Konsumausgaben führen derzeit vor allem in den Bau- und Ausbaugewerken sowie bei den handwerklichen Zulieferern zu Hochstimmung.
Fachkräftesuche wird schwieriger
Doch immer häufiger suchen viele Betriebe händeringend nach Fachkräften, um ihre Kapazitäten ausweiten zu können. Die aktuellen Zahlen der Arbeitsagenturen zeigen: über 26.000 offene Stellen sind gemeldet, also knapp 3.000 Stellen mehr als vor einem Jahr. Stefan Lobenstein, Präsident des Thüringer Handwerkstag e.V., betrachtet die Entwicklung mit Sorge. „Das altersbedingte Ausscheiden vieler Fachkräfte wird die Situation weiter verschärfen! Hochrechnungen gehen in einigen Regionen Thüringens von einem 30-prozentigen Rückgang der Erwerbspersonenzahl bis 2030 aus. Konkret geht es hier um etwa 345.000 Thüringerinnen und Thüringer, die in den nächsten Jahren aus dem Berufsleben ausscheiden.“
Der Berufseintritt der geburtenschwachen Jahrgänge kompensiert diese Entwicklung nicht annähernd. Laut einer aktuellen Studie der Universität Halle kommen zwischen 2025 und 2030 auf einen Berufseinsteiger im Schnitt 1,5 Ruheständler. Die Zahl der Thüringer Handwerkslehrlinge hat sich in den letzten zehn Jahren auf zuletzt 6.649 halbiert.
Kaum Nachfolger in Sicht
Schwieriger wird auch die Suche nach einem geeigneten Nachfolger. Ein Drittel der Betriebsinhaber hat heute das 55. Lebensjahr bereits erreicht. Über 9.000 Handwerksbetriebe stehen in den nächsten zehn Jahren vor dem Aus. „Die klassische Betriebsübergabe an den Sohn oder die Tochter hat in den letzten Jahren deutlich abgenommen“, fasst Lobenstein eine der Hauptursachen zusammen.
Um der demografischen Entwicklung entgegen zu wirken, empfiehlt die Universität Halle höhere Löhne, die längere Beschäftigung von Älteren sowie mehr Digitalisierung. „Leider steht zu befürchten, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen. Der Drang zu studieren, hat sich in den Köpfen vieler Jugendlicher festgesetzt. Das Handwerk wird oftmals als unattraktiver Arbeitgeber wahrgenommen. Hinzu kommt, dass insbesondere in den körperlich intensiven Gewerken irgendwann die Luft raus ist. Mit 65 Jahren Gerüstteile schleppen oder Dächer eindecken – das kann im Ausnahmefall gelingen, ist aber sicherlich nicht die Regel.“ Auch bei der Digitalisierung sieht Lobenstein natürliche Grenzen im Handwerk. „Die Betriebe wissen um die Chancen der Digitalisierung. Einige sind bereits bestens für die Zukunft gewappnet. Aber Handwerk – das ist und bleibt eine individuelle Leistungserbringung, die auch in Zukunft von Handarbeit geprägt sein wird. Dafür braucht es Personal“, so Lobenstein.
Um der Entwicklung entgegenzuwirken, werden die Thüringer Handwerksorganisationen sich weiterhin politisch engagieren. Das Themenspektrum der Gespräche reicht von einer deutlich verbesserten Berufsorientierung an den Thüringer Schulen, über neue Karrierewege im Handwerk, verbesserte Bedingungen für ältere Arbeitnehmer bis hin zu stärkeren Anreizen bei der Übernahme eines Betriebs.