9. Parlamentarischen Abends des Thüringer Handwerks am 22. März 2001 im Kongress Zentrum der Messe Erfurt
Das Handwerk schrumpft
Im Handwerk läuten die Alarmglocken bereits seit einigen Jahren. Nachdem die seit fast sechs Jahren anhaltende Krise am Bau auch in diesem Jahr keine Trendwende erfahren wird, und keine Anzeichen neuer Investitionsvorhaben in Größenordnungen zu erkennen sind, drängt der Thüringer Handwerkstag darauf, dass die Politik den Ernst der Lage endlich erkennt und entsprechend handelt.
Zum ersten Mal seit 1990 ist die Zahl der eingetragenen Handwerksbetriebe zurückgegangen; von 29 225 Ende letzten Jahres auf aktuell 29 165. Die Zahl der Lehrlinge ging auf 22 283 zurück, die der Beschäftigten auf rund 158 000.
Betroffen sind außer den Gesundheitsgewerken, dem Holzgewerbe und Teilen des Metallhandwerks alle Bereiche des Handwerks. Die Krise im Handwerk ist also nicht einzig im Bau- und Ausbauhandwerk zu erkennen, sondern umfasst weite Teile dieses für den Freistaat wichtigen Wirtschaftsbereiches.
Ursachen hierfür sieht das Handwerk unter anderem an den weiter bestehenden Strukturverwerfungen in der Thüringer Wirtschaft. Wenige industrielle Leuchttürme mit sehr guten Wachstumszahlen schaffen im Freistaat noch keinen konjunkturellen Sommer. Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit bremst das Investitions- und Kaufklima im privaten Sektor und sorgt gleichzeitig, neben weiteren Faktoren, für den anhaltenden Schwarzarbeitsboom, der Betriebe wie den Staat um Milliardenbeträge schädigt.
Um den Aufbau einer sich selbst tragenden Wirtschaftsentwicklung in den neuen Ländern voranzubringen, gilt es, insbesondere auf Bundesebene die Wirtschaftspolitik auf die tatsächlich tragende Säule zu konzentrieren, nämlich die kleinen und mittleren Betriebe, die rund 90 Prozent der Wirtschaft ausmachen.
Die Investitionsbereitschaft des Mittelstandes hat entscheidend mit steuerpolitischen Vorgaben, mit der Last der Lohnzusatzkosten und mit Möglichkeiten unternehmerischen Handelns zu tun. In der Kritik des Thüringer Handwerkstages stehen daher nicht nur die zu zaghaften Schritte der Unternehmenssteuerreform, sondern auch das Betriebsverfassungsgesetz, die verschleppte Rentenreform mit nach wie vor zu komplizierten und undeutlichen Vorstellungen einer stärkeren privaten Eigenvorsorge, die verfahrene Situation in der Gesundheitspolitik und nicht zuletzt die Öko-Steuer, die weite Teile des Handwerks belastet, während sie für Energie-Großverbraucher Sonderregelungen vorsieht.
Die geplante nächste Stufe der Öko-Steuer muss ausgesetzt und das Gesetz so umgebaut werden, dass es den eigentlichen Belangen entspricht.
Die weitere Förderung des Aufbaus Ost, dessen Notwendigkeit wohl von niemandem ernsthaft bestritten wird, darf nicht in einer kleinlichen Geber-Nehmer- Diskussion zerrieben werden. Mit einer kontinuierlichen Förderpolitik muss es gelingen, die Schere, die sich in der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen Ost und West auseinander bewegt, endlich dauerhaft zu schließen. Hierbei gilt es, die Entwicklung und Sicherung bestehender Betriebe ebenso zu unterstützen wie die Ansiedlung neuer, innovativer Unternehmen.
Eine Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung würde auch die anhaltende Abwanderung insbesondere junger und gut ausgebildeter Menschen aus Thüringen verringern beziehungsweise stoppen. Bereits heute herrscht in einigen Branchen wie beispielsweise in Teilen des Metall- und Elektrohandwerks Fachkräftemangel.
Investitionen in die Infrastruktur weiter dringend notwendig
Wichtiger Standortfaktor für Investoren ist die bestehende Infrastruktur. Während Thüringen über eine hochmoderne Telekommunikationsinfrastruktur verfügt, ist die Anbindung weiter Teile des Freistaates an das nationale und internationale Straßen- und Schienennetz weiterhin völlig unzureichend und bedarf eines zügigen Ausbaus und einer Modernisierung der bestehenden Strecken sowie des Baus neuer Trassen.
Das Handwerk sieht zudem die Gefahr, dass der Standortfaktor „Fachkräfte“ zunehmend in Gefahr gerät, da durch Abwanderung beziehungsweise lange Arbeitslosigkeit vieler Facharbeiter das Reservoir von einst zusammengeschmolzen ist. Bedarfsgerechte Qualifizierungen und arbeitsmarktpolitische Instrumente sind hier anzuwenden, damit Investoren auf qualifizierte Arbeitnehmer zurückgreifen können.
Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen
In der mittlerweile fast einjährigen Praxis hat sich dieses Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen als völlig unzureichend erwiesen. Sämtliche Neuregelungen wie die Erhöhung des Verzugszinses, die schnelle Fälligkeit von Rechnungen und die veränderten Abnahmemodalitäten haben nach Erfahrungen des Thüringer Handwerkstages die Zahlungsmoral in keinem Fall gebessert.
Da zum Teil mit krimineller Energie auf Kosten des Handwerkers Aufträge ausgelöst werden, die der Auftraggeber nie bezahlen wird, greift das Beschleunigungsgesetz viel zu spät ein.
Entscheidend ist aus Sicht des Thüringer Handwerkstages, dass bei Aufträgen ab einer Höhe von 10 000 DM eine Bankbürgschaft vom Auftraggeber vorgelegt werden muss. Wie der ausführende Handwerker Auftragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaften zu erbringen hat, so muss es für den Auftraggeber Pflicht werden, seine Zahlungsfähigkeit nachzuweisen.
Viele der rund 400 im letzten Jahr in Konkurs gegangenen Thüringer Handwerksbetriebe wären mit einem besseren gesetzlichen Schutz vor zahlungsunwilligen Auftraggebern heute noch am Markt.
Dem Handwerk entsteht durch uneinbringliche Forderungen jährlich ein Schaden von rund 300 Millionen Mark.
Der Thüringer Handwerkstag fordert die sofortige Einsetzung des Bund-Länder-Ausschusses, um das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen kurzfristig zu ergänzen. Neben der Auftraggeberbürgschaft sollte das Gesetz außerdem einen erweiterten Eigentumsvorbehalt für eingebautes Material beinhalten.
Land und Kommunen haben Fürsorgepflicht
Im Rahmen ihrer Möglichkeiten sollten Land, Kreise, Städte und Gemeinden alles unternehmen, die kleinen und mittleren Thüringer Unternehmen zu unterstützen. Gebühren- und Abgabenpolitik sind hier ebenso zu überprüfen wie die Vergabepolitik der öffentlichen Hand. Begrüßt wird daher der Vorstoß des Thüringer Ministeriums für Wirtschaft und Infrastruktur, die Mittelstandsrichtlinie des Landes zwingend auf die öffentlichen Vergaben der Landkreise und Kommunen zu übertragen. Ein Vergabeprozedere, das die spezifischen Bedürfnisse der kleinen und mittleren Betriebe in der Praxis berücksichtigt, ist ein wichtiger Beitrag zur Stabilisierung der heimischen Wirtschaft. Leider sind nach wie vor zu viele öffentliche Vergaben an Generalauftragnehmer zu registrieren. Damit die Betriebe des heimischen Handwerks nicht weiter als abhängige Subunternehmer in das letzte Glied der Rechts- und Bezahlungskette gedrängt werden, ist die öffentliche Hand aufgefordert, mehr als bisher in Fachlosen auszuschreiben.
Investitionen der öffentlichen Hand haben Lenkungscharakter, die die Verantwortung gegenüber den Steuer zahlenden, Arbeitsplätze schaffenden und ausbildenden Betrieben im Lande einbeziehen. Die Verantwortlichen im Land können daher nicht sehenden Auges den Erdrutsch in der Bauwirtschaft ausschließlich als Marktbereinigung betrachten, sondern haben hier eine Fürsorgepflicht gegenüber Betrieben, Beschäftigten und Lehrlingen. Die notwendigen strukturellen Anpassungsprozesse in der Thüringer Bauwirtschaft sind abzufedern. Ungeeignet ist nach Auffassung des Thüringer Handwerkstages allerdings das vom Land gern praktizierte „Erfurter Modell“, indem das Land privat finanzierte und gebaute Objekte anschließend least. Investitionen werden damit zwar vorgezogen, allerdings zu einem hohen Preis. Denn Sicherungsinstrumente, die in der öffentlichen Vergabe (VOB) integriert sind, brauchen i
m privaten Baurecht nicht berücksichtigt werden, Preiskämpfe und Dumping sind das Resultat. Mittelstandsrichtlinie und VOB sind daher auch im Rahmen von Aufträgen über das sogenannte „Erfurter Modell“ zwingend anzuwenden.
Städte und Gemeinden sind aufgefordert, sich auf ihre Kernaufgaben zu konzentrieren und nicht weiter durch „Schein“privatisierungen von Eigenbetrieben in den Wettbewerb der privaten Wirtschaft einzugreifen.
BSE-Krise im Fleischerhandwerk zu spüren
Nicht nur Landwirte und die verarbeitende Fleischindustrie sind Leidtragende der europäischen BSE-Krise. Die Verunsicherung der Kunden schlägt sich auf das Kaufverhalten nieder.
Den Fachbetrieben der Fleischerinnungen gelingt es zwar besser als manch anderem, mit Qualitätsprodukten und guter Beratung das Vertrauen der Kundschaft zum Nahrungsmittel Fleisch wieder herzustellen. Doch insbesondere die Verteuerung der Produkte führt zur Kaufzurückhaltung der Kunden.
In die vorgesehene finanzielle Unterstützung von Land und Bund ist daher auch das Fleischerhandwerk einzubeziehen.
Umstellung der Ausbildungsförderung findet Anklang
Nach ersten Verwirrungen unter den Betrieben nach Änderung der Ausbildungsförderung, findet die Umstellung nunmehr bei sehr vielen Betrieben Anklang. Zusatzqualifikationen für Lehrlinge im Rahmen der Ausbildung sollen nicht nur das Ausbildungsniveau weiter anheben. Für einen erfolgreichen Schritt in den Arbeitsmarkt nach der Ausbildung ist es für die Gesellen heute wichtig, zusätzliche Kenntnisse vorweisen zu können.
Für die Betriebe haben die Maßnahmen den Vorteil, dass spezielle Qualifikationen, die im Rahmen-Ausbildungsplan nicht vorgesehen sind, bereits während der normalen Ausbildung vermittelt werden können.
Nach Einschätzung des Thüringer Handwerkstages e.V. wird die Zahl der Ausbildungsplätze im Handwerk in diesem Jahr nicht steigen. Die Ursachen sind bekannt.
Handwerk für Kreditinstitute ein rotes Tuch?
Mit dem Rückzug zahlreicher Großbanken aus der Fläche und aus dem Geschäft mit dem Mittelstand ist für viele Betriebe des Handwerks eine ausgesprochen schwierige Situation entstanden. Da die meisten Betriebe über eine zu schmale Eigenkapitaldecke verfügen und damit über mangelnde Liquidität, sind sie auf Kredite angewiesen. Allerdings ist die aktuelle Kreditpolitik ausgesprochen regressiv und damit nicht nur entwicklungshemmend, sondern für viele Betriebe existenzbedrohend. Der Thüringer Handwerkstag e.V. fordert daher von Banken und Sparkassen, ihre Kreditpolitik umgehend zu ändern, um den Betrieben Entwicklungschancen zu geben.
Der Baseler Akkord als Reaktion auf die globalen Anforderungen an die europäische Kreditwirtschaft wird möglicherweise zu mehr Transparenz in der Kreditpolitik führen. Auch die kreditsuchenden Unternehmen haben sich den neuen Bedingungen anzupassen. In der Handhabung darf es aber nicht dazu kommen, dass die neuen Kriterien ausschließlich zu Lasten des Mittelstandes gehen. In jeder Risikoeinschätzung muss ein hohes Maß an Verantwortungsbewußtsein gegenüber der wirtschaftlichen Entwicklung eines Unternehmens und damit möglicherweise einer Region enthalten sein.