Abiturienten kennen nur sechs Handwerksberufe
Fragen an Rolf Ostermann, Präsident des Thüringer Handwerkstages
Herr Präsident, wie geht es dem Thüringer Handwerk?
Entgegen einiger Prognosen jedenfalls nicht so, dass wir jubeln könnten. Das Handwerk hat vor allem mit mangelnder Binnennachfrage, fehlenden Aufträgen besonders im Baugewerbe und zurückgehender Industrienachfrage zu kämpfen. Bisher gestaltet sich das Jahr 2004 negativer als das Vorjahr.
Worauf führen Sie das zurück?
Das ist der wirtschaftlichen Lage insgesamt geschuldet und hat mehrere Ursachen. Eine wesentliche sehe ich in der Zurückhaltung der Leute beim Geldausgeben. Sie sind sich ihrer sozialen Absicherung nicht mehr so sicher, müssen Vorsorge fürs Alter treffen, Praxisgebühr bezahlen … Aber natürlich fehlen auch die großen Investitionen und Aufträge der öffentlichen Hand.
Welche Branchen sind besonders betroffen?
Nach wie vor sieht es im Bauhandwerk schlecht aus und besonders bedenklich ist die Entwicklung gegenwärtig in der Nahrungsmittelbranche.
Aber gegessen und getrunken wird immer …
Das ist ja richtig. Nur werden zunehmend Billigprodukte beim Discounter gekauft und kaum noch auf die Qualitätserzeugnisse der Bäcker oder Fleischer zurückgegriffen. Der Preiskampf im Nahrungsmittelhandwerk nimmt ruinöse Formen an.
Dumping ist an der Tagesordnung?
Zumindest muss sich das Handwerk zunehmend damit auseinandersetzen. Und die Novellierung der Handwerksordnung, die seit dem 1.1. 2004 in Kraft ist, tritt dem nicht gerade entgegen.
Wie meinen Sie das?
Wir hatten bisher 94 Berufe, für die ein Meisterbrief zur Führung eines eigenen Betriebes Voraussetzung war. Jetzt sind es nur noch 41. Die Auswirkungen sind bereits spürbar: Mehr Handwerksbetriebe drängen auf den Markt, und das mit staatlicher Förderung. Sie unterbieten sich gegenseitig im Preis. Dabei gibt es aber nicht mehr Arbeit, im Endeffekt haben alle nur weiniger von allem.
Wie hat sich denn die Zahl der Handwerksbetriebe in jüngster Zeit verändert?
Nehmen wir z. B. die aktuelle Entwicklung im Kammerbezirk Erfurt. Hier ist die Zahl der Betriebe von 13.096 Ende 2002, über 13.204 zum Jahresende 2003 auf 13.349 zum 31. März 2004 angewachsen. Aber die Beschäftigtenzahl ging allein im letzten Jahr um 1.000 zurück. Wir haben nicht mehr durchschnittlich sieben Beschäftigte in den Handwerksbetrieben, sondern nur noch fünf. Übrigens gab es in diesem Jahr bisher die meisten Abmeldungen von den Betrieben, wo keine Meisterausbildung vorliegt.
Wie steht es mit der Ausbildung in solchen Betrieben?
Nach der Novellierung der Handwerksordnung wird es künftig weniger Meister geben, die ausbilden können. Zudem hat man die Ausbildereignungsverordnung für fünf Jahre ausgesetzt. D. h. im Klartext, Handwerker ohne entsprechenden Kompetenznachweis dürfen ausbilden. Abgesehen davon, dass sich daraus rechtliche Konsequenzen ergeben können, wenn ein Azubi nicht qualitätsgerecht ausgebildet wird, ergibt sich für mich ein gewaltiger Widerspruch zu dem, was wir nach der PISA-Studie debattieren. Wir brauchen gut ausgebildete Fachkräfte auch im Handwerk und auch in Zukunft.
Wie steht es denn mit dem Interesse Jugendlicher für handwerkliche Berufe?
Interesse hat auch immer etwas mit Wissen um eine Sache zu tun. Wenn man nicht weiß, welche Handwerksberufe es überhaupt gibt, was deren Inhalt ist und welche beruflichen Chancen man hat, wird man kaum dafür Interesse zeigen. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang eine bundesweite Analyse des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. Demnach konnten Abiturienten im Durchschnitt nur sechs Handwerksberufe nennen. Bekanntermaßen gibt es auch unverantwortlich viele Ausbildungsabbrüche, meist deshalb, weil die jungen Menschen entweder gar keine oder falsche Vorstellungen von ihrem zukünftigen Beruf hatten. Und wir sehen zunehmend das Problem der Unternehmensnachfolge für Betriebe. Es gibt also viel zu tun.
Was unternehmen Sie?
Wir haben das Projekt Berufsstart mit Schülern initiiert, um eine bessere Berufsvorbereitung und damit weniger Ausbildungsabbrüche zu erreichen. Wir haben die Ausbildung sogenannter Betriebsassistenten für Abiturienten auf den Weg gebracht, um die Unternehmensnachfolge zu gewährleisten. Wir haben sehr gute Erfahrungen mit dem Modell Einjährige Berufsfachschule in unserem BBZ gesammelt. Im letzten Jahr lag die Vermittlungsquote der Jugendlichen dort immerhin bei 88 %. Aber diese und viele andere Projekte können nur weitergeführt werden, wenn die entsprechenden finanziellen Mittel zur Verfügung stehen.
Gespräch: M. KRAMER